Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Samstag, 12. Oktober 2024

Ein Jahr verschenkt?

Am 9. Oktober 2023 startete die Petition zur Einführung einer Europäischen Vermögenssteuer.
Diese Forderung richtete sich an die Europäische Kommission (Link).

Über den Zeitraum von einem Jahr hatten Medienschaffende, Sozialpolitiker:innen und Verbände die Möglichkeit, der Öffentlichkeit dieses Thema näherzubringen.
Einer der Initiatoren war Thomas Piketty. Zumindest dieser Ökonom sollte Menschen, die sich mit Finanz/-Sozialpolitik beschäftigen, ein Begriff sein.

Ein Blick in die Onlinesuchmaschinen zeigt, dass außer den „Deutschen Wirtschaftsnachrichten“, „NZZ“, „LeMonde“ und „FAZ“, keine Medien über diese Petition berichteten.
In den linksliberalen Printmedien gab es keine Auseinandersetzung mit der Forderung.
Piketty polarisiert, sicher. Daher wäre ein „pro/contra“ spannend gewesen.

Das Thema „Reiche und Vermögenssteuer“ wurde ausgiebig erwähnt, auch in der Tagesschau oder im Deutschlandfunk.
Nur der Ansatz zum Handeln fehlte. Auch wenn Onlinepetitionen nur eine gewisse Reichweite/Aussagekraft haben und Risiken bergen, diese Petition richtetet sich an die Europäische Kommission, mit einem ähnlichen Handlungsspielraum wie einer Eingabe an den entsprechenden Ausschuss des Deutschen Bundestages.

Anscheinend war dieses Thema zu komplex, und es wurde lieber über die Petition zur Wiederholung eines Fußballspiels bei der EM berichtet.
In der DLF Sendung „Nach Redaktionsschluss“ erklärte ein Redakteur, dass sein zeitlicher Rahmen für ein Nachfassen bei Interviews begrenzt sei.

Also sieht es so aus, als wenn Journalist:innen in Qualitätsmedien und dem ÖRR nicht die Möglichkeit haben, innerhalb eines Jahres die Petition eines weltweit bekannten Ökonomen zur Kenntnis zu nehmen, und einen Diskurs darüber anzuregen.

Auch die Verbände und Sozialpolitiker:innen sollten sich fragen, ob sie sich in der Lage sehen, die Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation so zu begleiten, dass die Mehrheit in diesem Land abgeholt wird.

Die libertäre Vertreter:innen aus Politik und Wirtschaft können sich aktuell entspannt zurücklehnen.
Der Ausschuss der Europäischen Kommission braucht sich nicht mit dem Thema Vermögenssteuer auseinanderzusetzen.
Von den ca. 427 Millionen wahlberechtigten EU Bewohner:innen haben sich 349.000 beteiligt, also 0,08 Prozent. Und die erforderlich Quoren in sieben Ländern wurden nicht erreicht.
Somit sind 99,92 Prozent der Bewohner:innen in der EU damit einverstanden, dass (Super)Reiche fiskalisch nicht verstärkt in die Verantwortung zu nehmen sind. Das ist doch mal eine (polemische) Aussage.

Zum Abschluss ein wenig Hoffnung. Mehr als 100.000 Menschen haben in Deutschland die Petition gegengezeichnet, und das Quorum wurde erreicht. Würden die gleiche Anzahl von Unterschriften bei einer Petition an den Deutschen Bundestag zustande kommen, wäre es ein riesen Erfolg!

Vielleicht erkennen Sozialpolitiker:innen und Verbände das Potential und handeln zielgerichteter. Es bleiben 11 Monate bis zur Bundestagswahl, um Handlungsspielräume aufzuzeigen.

Danach kommen nur Erhöhungen der Sozialabgaben und Leistungskürzungen, die dann Futter für die Wahlkampfteams der Populisten sind.


Dienstag, 10. September 2024

Times are not changing

Zwei Jahre sind nun bald seit meinem letzten Blogbeitrag vergangen.
Noch immer herrscht Krieg in der Ukraine, dem Sudan, dem Jemen, und dem Nahen Osten.
Donald Trump ist erneut als Präsident im Gespräch.
Ein extremes Klimaphänomen geht in ein Anderes über, und führt immer mehr zur Resignation.
Islamistisch ausgerichtete Gewalttaten sind wieder ein Thema in Deutschland, und lösen einen nahezu grotesken Diskurs zum Thema Migration und Sozialpolitik, sowie den Einzug von Rechtsradikalen in deutsche Landtage, aus.
Populistische Meinungsmacher:innen werden in den Medien als Protestparteien verharmlost, und entsprechend von den Algorithmen der Sozialen Netzwerke belohnt.

Und die etablierten Parteien versuchen verzweifelt komplexe Politik in 90 Sekunden auf einem chinesischen Medium zu erklären, während ein wirrer CEO aus den USA auf seinem Netzwerk politische Wahnvorstellungen befeuert.
Die klassischen Medien werden an die (politischen) Ränder gedrückt, und erfüllen ihre Rolle als „vierte Gewalt“ immer weniger.
Der ÖRR überträgt stundenlang Sportevents, anstatt bei politischen Talkshows einen Faktencheck live durchzuführen.
Wäre es nicht Aufgabe von Medien und Politik, hier Brücken zu bauen? Anstatt im Hinblick auf Quote, Umfrageergebnis und Algorithmen das jeweilige Klientel in seinen Vorurteilen zu bestätigen?

Gab es ausreichend Leitartikel, die hinterfragt haben, warum es in einem so reichen Land einer ehrenamtlichen „Tafel“ bedarf, um Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen?
Warum wird nicht kritisch darüber berichtet, wenn konservative Politiker:innen einem Portal wie NIUS Interviews geben?
Warum wird es hingenommen, dass Bertelsmann RTL-Formate wie „Hartz aber herzlich“ produziert, nur damit später die Bertelsmann-Stiftung Forschungsergebnisse über „sozial schwache“ Menschen veröffentlicht?

Wieder sind wir an einem Punkt angelangt, dass finanziell schwache Menschen in der Politik und in einem Teil der (konservativen) Medien so dargestellt werden, als wenn sie allein Schuld an ihrem Schicksal sind.

Wenn wir, die Gemeinschaft aus Medien, Politik und Zivilgesellschaft, so weitermachen, wird uns die negative Entwicklung überrollen. Und der Ableismus von Luke Mockridge oder die verbalen Entgleisungen in der Migrationsdebatte werden erst der Anfang einer Spirale in den gesellschaftlichen Abgrund sein.
Bereits jetzt ist aus dem „das wird man doch wohl noch einmal sagen dürfen“ ein „die wird man doch noch wählen dürfen“ geworden.

Ich fand den Begriff „Wertekanon“ immer ein wenig schwülstig. Aber genau das ist es, was wir m.E. nach brauchen. Einen Kodex im Sinne von Roger Willemsen, ein Umdenken im Hinblick auf Headlines.
Nicht jedes provokante Geschwurbel erfüllt den Anspruch der freien Meinungsäußerung. Und nicht jede abweichende Meinung muss mit einem giftigen Kommentar in den sozialen Netzwerken geteilt werden.

Wenn wir jetzt aufhören, das Gute in den Menschen zu entdecken, dann stehen uns finstere Zeiten bevor.



Sonntag, 18. Dezember 2022

Ein neues Jahr - Wünsche & Hoffnung

Wie viele Katastrophen passen in einen Jahresrückblick? Wir alle sind ermüdet von den Hiobsbotschaften und der medialen Marktschreierei. Viele Themen werden uns auf nationaler und internationaler Ebene noch weit über das nächste Jahr hinaus beschäftigen. Leider.

Daher verzichte ich auf die Aufzählung der ganzen Dramen und konzentriere mich auf meine Hoffnungen und Wünsche für 2023.

Das es zu Friedensverhandlungen in den diversen Kriegs -bzw. Konfliktregionen kommt

Ich hoffe das alle friedlichen Demokratiebewegungen auf der Welt im nächsten Jahr ihren Zielen wesentlich näher kommen. Und das sich die Aufmerksamkeit hierbei in D gerecht verteilt.

Das sich die Klimaaktivist*innen in D nicht radikalisieren, und sich der politische Furor über die Aktionen dieser Aktivist*innen sich deradikalisiert, ist eine weitere Hoffnung.

Das #ichbinarmutsbetroffen“ nicht in der medialen und gesellschaftlichen Versenkung landet, ist auch ein Wunsch. Verbunden mit der Hoffnung, dass sich Politik und Gesellschaft nicht daran gewöhnen, dass sozialpolitisches Versagen auf die Schultern von ehrenamtliche Organisationen verteilt wird.

Das Bildung mehr in den Fokus der Medien gerät, und nicht die Verblödung. Und das verblödete Menschen sich nicht anmaßen Wissenschaft abzuwerten. Ja, das wäre auch wünschenswert.

Das mehr Mensch das Buch „Zukunft denken“ von David Christian lesen, insbesondere die Politiker*innen von CDU und FDP.

Das wir uns als Gesellschaft freuen, wenn Einzelne versuchen ihr Verhalten positiv zu verändern, und sie nicht dafür kritisieren, dass sie ihr Verhalten zu spät ändern. Und ja, vielleicht ist das der naivste Wunsch in dieser Aufzählung. Das wir uns alle darauf besinnen, Andere so zu behandeln, wie wir selbst gern behandelt werden möchten.



Samstag, 8. Oktober 2022

Eyes tight closed

Kinder laufen mit großen Augen durch das Leben. Fast jeden Tag gibt es für sie etwas Neues zu entdecken. Die Zukunft scheint unendlich und spannend. Im Laufe des Erwachsenwerdens kommen immer mehr Erfahrungen, Pflichten und auch Regeln dazu. Die Zukunft gerät in den Hintergrund, das Hier und Jetzt rückt in den Blickpunkt. Das ist an sich nichts Neues. Bemerkenswert meiner Ansicht nach ist der gegenwärtige Eskapismus in unserer Gesellschaft.

Hatten wir in der Hochzeit der Pandemie einen Diskurs über nachhaltigen Konsum? Und wie war das Verhalten der Mehrheitsgesellschaft als die Restriktionen entfielen, und das „normale Leben“ wieder möglich war? 

Mit einem Krieg im Rücken und steigenden Energiekosten vor Augen wurde erst einmal verreist. Sicher, manch eine Reise musste endlich durchgeführt werden, um nicht auf Stornokosten sitzen zu bleiben. Dies gilt jedoch nicht für alle Buchungen. Augen zu und durch“ scheint das Motto dieser Tage zu sein.

Es mag sein, dass „2/3 der Deutschen“ in Umfragen den Eindruck vermitteln, dass es Ihnen bewusst ist, das JETZT gehandelt werden muss, um die Zukunft positiv zu gestalten. Ja, ich erwähne den Begriff „Positiv“ im Zusammenhang mit der Zukunft. Es wäre möglich, es ist genug für alle da. Die gerechte, oder zumindest gerechtere Verteilung ist die große Herausforderung. Wir müssten uns nur Gedanken über die Zukunft machen, und wie wir sie besser gestalten könnten. Es gäbe genug kluge Ideen.

Ich verwenden den Konjunktiv, da ich nicht glaube, dass es zu einem neuen Wertkanon kommen wird. Meiner Meinung nach nutzen „2/3“ der Deutschen ihre Augen dafür sich Metawesen im Kino oder im Stream anzuschauen, anstatt den jetzigen Herausforderungen „ins Auge“ zu schauen. 

Was war zuerst da? Die Politik mit Ihrem Versprechen der „Normalität“, oder das Wahlvolk mit der Forderung nach diesem Wahlversprechen?

Letztendlich egal, denn „die Normalität“ gibt es nicht. Es ist eine Illusion, wenn auch eine beruhigend schöne. Nur wenn wir alle das eingestehen, ist eine positive Gestaltung der Zukunft möglich. 

Warum tun wir uns damit so schwer? 

Eine mögliche Antwort habe ich in dem Buch „Zukunft Denken“ von David Christian gefunden. Dort steht auf Seite 128:

(….)“Langsames Denken verlangt mehr Anstrengung und Konzentration als schnelles Denken, geht dabei aber Problemen konsequenter auf den Grund, verwendet mehr Informationen und unterzieht seine Schlussfolgerungen einer strengeren Prüfung. In großen, mit leistungsfähigen Gehirnen ausgestatteten Organismen, wie wir es sind, werden viele der großen folgenreichen Entscheidungen über die Zukunft mit dem langsamen, bewussten Denken getroffen (…)“.

Schauen wir uns die Debattenkultur in den sozialen Medien an. Aus den „1:30“ in den Talkshows wurden 30 Sekunden auf TikTok. Es wird nur noch von einem Aufreger zu Nächsten gehetzt. An sich schon schlimm, meines Erachtens ist es jedoch noch viel schlimmer, dass sich die klassischen Medien dieser nicht vorhandenen Debattenkultur anpassen, zum Beispiel die „Tagesschau“ auf TikTok. Und, um noch mal auf die berühmten „2/3“ zurückzukommen. Ein großer Teil der Verfasser*innen von Onlinekommentaren verwechseln Häme und Spott mit Diskurs. 

So drehen wir uns als Gesellschaft im Kreis. Medien wollen die Auffassungsgabe der „User*innen“ nicht überfordern. Und durch die verkürzte Darstellung sinkt die Auffassungsgabe der Nutzer*innen immer weiter.

Es mag nach Verschwörungstheorie klingen wenn ich die Ansicht vertrete, dass überfordertet Verbraucher*innen und Wähler*innen einigen Vertreter*innen in Politik und Gesellschaft gelegen kommen. Vielleicht enden wir ja wie in dem Film „Idiocracy“. 

Sicher ist, dass es nicht besser wird, wenn wir diese Entwicklung nicht verändern, bzw. stoppen. Denn, um erneut mein Lieblingszitat zu erwähnen:

If you close your eyes to facts, you will learn trough catastrophe“

Schade, dass wir uns seit Jahrzehnten so verhalten, wie es dieses Zitat vom afrikanischen Kontinent zusammenfasst. 

In diesem Sinne, Augen auf!


Samstag, 11. Juni 2022

Wie uns Armut betroffen machen sollte (#ichbinarmutsbetroffen)

 

Als ich (zu) jung war, gehörte ich zu den Menschen, die über obdachlose Menschen hinweggesehen haben. Nicht dass ich diese Personen diffamiert hätte, ich hielt Distanz und versuchte die Armut zu ignorieren. Auch wenn ich meinen familiären Background nicht als besonders wohlhabend bezeichnen würde, wuchs ich in einem Umfeld auf, das von der Meinung geprägt war, dass es immer Arbeit gäbe, für Menschen die nur wollen.

Der Sozialstaat der 1980ger Jahre schien perfekt geregelt, Armut & Wohnungslosigkeit wurden quasi als selbst gewähltes Schicksal empfunden.

Ich begann eine Ausbildung im Bereich der Sozialversicherung, erlebte dann anhand eines Krankheitsfalls in der Familie, dass die staatlichen Institutionen auf dem Papier gut funktionieren. In der Praxis nicht. Unser Rechtsstreit um Transferleistungen ging zwei Jahre.

Trotz des positiven Ausgangs aus monetärer Sicht, diese Jahre, mit diversen Erfahrungen und Ereignissen im weiteren Umfeld, haben mich geprägt.

Auch in den 1990ger Jahren waren die Institutionen des Sozialstaates nicht dafür da, bei einer Krise im Anfangsstadium Hilfe zu leisten, und eine soziale Notlage am Anfang abzufedern. Ein Mensch wurde zum Verwaltungsakt, und über Monate zerrieben.

Ab da habe ich mir die Frage gestellt, welche Geschichten obdachlose Menschen zu erzählen hätten, um zu erklären wie sie in ihre Situation gekommen waren. Und das es diese Gründe sein könnten, denen ich aus dem Weg gehen wollte.

Es gab im Laufe der Jahre Berichte im Fernsehen, meist spät ausgestrahlt, die über die Löcher in unserem sozialen Netz berichteten..
Ab und zu schaffte es ein Buch zu diesem Thema in das Feuilleton. Dort wurde das Buch von Menschen rezensiert, die von Armut und Krankheit nicht betroffen waren.

Es sind große Schicksalsschläge, oder kleine Fehlentscheidungen, die uns im Leben stolpern lassen. Ja, Menschen sind verschieden. Viele strengen sich an, und kämpfen gegen die Umstände an. Niemanden steht es jedoch zu, zu beurteilen, wie lange der Kraftvorrat für diese Anstrengungen zu reichen hat. Kritik an Menschen, die irgendwann aufgeben, verbietet sich für Außenstehende.

Tief im Innersten wissen das die allermeisten von uns, daher gehen wir auf Distanz, um zu verdrängen, dass es auch bei uns schneller finanziell bergab gehen könnte, als uns lieb ist.

Als der Boulevard nur in Form der BILD vertreten war, wurden diese Menschen als Sozialhilfebetrüger bezeichnet. Hinzu kam das Bild der „sozial schwachen“ Menschen, welches von den privaten Fernsehsendern den „strebsamen“ Mitmenschen zur Primetime präsentiert wurde.

Jetzt können ökonomisch Schwache zusätzlich in den sozialen Medien verunglimpft werden.

Umso wichtiger ist es, dass diese Menschen ihre Erfahrungen unter dem Hashtag #ichbinarmutsbetroffen auf Twitter schildern konnten, bzw. sie sich getraut haben in die Öffentlichkeit zu treten. Die daraus resultierende Petition von @sorgeweniger ist ebenfalls unterstützenswert(Link).

Der sehenswerte Beitrag von Sarah Bosetti (Link) bringt es auf den Punkt. Wir haben zu lange weggesehen, und dabei Menschen übersehen. Es wird Zeit, dass der Begriff der sozial Schwachen aus dem Sprachgebrauch verschwindet. Nur die immensen staatlichen Transferleistungen der letzten zwei Jahre habe verhindert, dass zehntausende Menschen ihre Arbeit nicht verloren haben.

Die Aktion #ichbinarmutsbetroffen ist ein wichtiges Korrektiv, in einer Zeit, in der Medien unreflektiert darüber berichten, dass das Vermögen „der Deutschen“ immer weiter wächst.

Meine Bitte, die oben erwähnte Aktion zu unterstützen hat nichts mit Neid zu tun. Ich gönne jedem Menschen eine gerechte Entlohnung für seine Berufung und seine Leistung.
Aktionärsdividende oder Erbe sind keine Leistung.

Sobald Krieg und Pandemie die deutsche Gesellschaft nicht mehr beschäftigen, wird es darum gehen die Transferleistungen aus den Krisenjahren zu refinanzieren. Ohne Debatte über soziale Gerechtigkeit kann kein Fortschritt in dieser Frage erzielt werden. Daher wäre es wünschenswert, wenn wir bereits jetzt Menschen zuhören würden, die von Armut betroffen sind.



Sonntag, 3. April 2022

Eigenverantwortung - Ein Unwort?

 

Im Treppenhaus stapeln sich die Prospekte, die die Nachbarn aus den Briefkästen heraus geholt, und auf eben diesen abgelegt haben. Die Altpapiertonne steht vor dem Mietshaus, keine fünf Meter entfernt. Seit Jahren denke ich darüber nach, warum Menschen so handeln. Aus Bequemlichkeit, oder aufgrund von Ignoranz? Einmal in der Woche wird das Treppenhaus gereinigt, und die Hinterlassenschaften entsorgt. Somit ist immer jemand da, der hinter einem aufräumt. Ein Nachdenken über das eigene Handeln scheint nicht erforderlich.

Das erklärt vielleicht auch unseren Umgang mit dem Klimawandel. Das eigene Handeln wird nicht mit Konsequenzen in Verbindung gebracht.
Eine Raumtemperatur von 26 Grad scheint genauso normal, wie mit 200 km/h auf der Autobahn zu rasen.

Über die Jahre hat unsere Gesellschaft verlernt, sich mit den Folgen des immer größer werdenden Konsums auseinanderzusetzen. Es gibt immer eine vermeintliche Rechtfertigung für das eigene Handeln. Ein Prozess, der sowohl von der Politik, als auch von der Wirtschaft begünstigt wurde.
Jetzt, nach zwei Jahren Pandemie und einem andauernden Krieg auf europäischen Boden, werden einige Güter knapp und es kommt zu Preissteigerungen. Diese Entwicklung ist für Menschen besonders bitter, die aus monetären Gründen keinen Verzicht ausüben können.

Dieser Beitrag richtet sich allerdings an die Menschen, die verzichten können.

Es trifft zu, dass der Begriff „Eigenverantwortung“ häufig dazu verwendet wird, um staatliches Nichthandeln im Neoliberalismus zu beschönigen.
Eigenverantwortung jedoch zum Unwort zu erklären, hilft meiner Ansicht nach nicht weiter.
Der Begriff Verantwortung trägt den Wortteil „Antwort“ in sich. Somit ließe sich Eigenverantwortung auch so erklären, dass wir uns selbst Fragen stellen, und nach einer eigenen Lösung suchen.

Selbstverständlich ist es möglich im Auto mit 220 km/h von A nach B zu rasen. Den Motor beim Eiskratzen laufen zu lassen, oder 500 Meter mit dem PKV zum Bäcker zu fahren.
Nur, dann verbrauche ich eben Ressourcen, und muss dafür bezahlen. Das ist die Konsequenz aus meinem Handeln bzw. Verhalten. Und nein, es gibt keinen Artikel im Grundgesetz, der mir eine Durchschnittsgeschwindigkeit garantiert. Das Gleiche gilt für Zähneputzen mit laufenden Wasser, Duschen/Baden oder Dauerlüften bei auf 26 Grad eingestellter Heizung.

Wir haben uns, aus den eingangs erwähnten Gründen, daran gewöhnt, dass jemand hinter uns aufräumt. Werden wir aufgefordert uns selbst darum zu kümmern, fangen wir an zu motzen. Und die Politik der letzten Jahrzehnte hatte Angst vor diesen motzenden Wähler:innen, die aufgestachelt von unerträglichen Boulevardblättern Populisten hinterherliefen, die ihre bisherige Weltanschauung garantierten.

Dieses Weltbild hat jedoch nie real existiert!

Wenn sich Teile einer Gesellschaft nur dann frei fühlen, wenn sie über ihr eigenes Handeln nicht nachzudenken brauchen, und es dann auch noch eine Partei in der aktuellen Koalition gibt, die diesen Begriff der Freiheit definiert, wie sollen wir die Herausforderungen in der Zukunft bewältigen?

Ich bin dankbar für die deutlichen Worte des amtierenden Wirtschaftsministers vor ein paar Tagen, der unser Handeln recht deutlich in das korrekte Verhältnis zu unserem Anspruch gesetzt hat. Es gibt keinen umweltfreundlichen Konsum. Umweltverträglichkeit ist das maximale Ziel. Und dazu gehört auch, dass überproportionaler Ressourcenverbrauch zu monetärer Belastung führen muss. Denn leider ist ein großer Teil unser Gesellschaft nicht gewillt die bestehende Freiheit für eigenverantwortliches Handeln zu nutzen.


Sonntag, 30. Januar 2022

Namen sind Schall und Rauch

Viele neue Namen in der Arbeitswelt - 

Die Herausforderungen bleiben die gleichen.

Sprache ändert sich im Laufe der Zeit. Häufig um einen Zustand konkreter, oder eine Person präziser zu beschreiben.
Sprache wird allerdings auch als Nebelkerze verwendet, um von einem Zu-bzw Umstand abzulenken.

Ich erinnere mich an die Meldungen im Radio, die ich als Kind hörte.
„Sicherheitsschuhe und Arbeitspapiere seien mitzubringen“, hieß es da.
Gemeint waren die Arbeiter, die für das Entladen der Schiffe im Hamburger Hafen benötigt wurden, stunden- bzw. tageweise. Später, in meiner Ausbildung, habe ich diesen Arbeitertyp kennengelernt. Den „unständig“ Beschäftigten (Quelle). – Wikipedia.

Wie unter dem Link aufgeführt, wurde seinerzeit die Sozialversicherungspflicht für unständig Beschäftigte eingeführt, da Menschen die sich vorher als Tagelöhner verdienten, nicht abgesichert waren. „Tagelöhner“, der Begriff ist bildhaft. Der Lohn wird für den Arbeitstag gezahlt. Kein festes Beschäftigungsverhältnis. Kein formeller Arbeitsvertrag, der die Entlohnung garantiert.

In den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts bildeten sich die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten stärker heraus. Hinzu kamen dann noch die Beamten. Es gab formelle Arbeitsverträge, die Gewerkschaften gewannen an Einfluss.

Bis
in die 1990er waren die Regeln in der Arbeitswelt relativ klar. Für die gut Gebildeten gab es gut bezahlte und sichere Arbeitsplätze Ja, bewusst das Wort Arbeits-Platz. Denn, egal ob in der freien Wirtschaft, oder im öffentlichen Dienst. Die Beschäftigung hatte einen festen Platz im (Arbeits)Leben.

Bedingt durch Aufbruchsstimmung der Nachkriegszeit und dem daraus resultierenden Wirtschaftswunder war die Arbeit, das (Er)Schaffen und das Streben nach Erfolg ein zentraler Punkt im Leben von nahezu zwei Generationen.


Bei den Arbeitern sah das zum Teil anders aus. Die Beschäftigten in der Montanindustrie oder auf den Werften waren in den 1970er einem großen Wandel, und damit dem Abbau von Arbeitsplätzen, ausgesetzt. Die Arbeiter:innen in der Automobilindustrie hingegen, hatten lange Zeit quasi eine Beschäftigungsgarantie.
Im Ruhrgebiet, und an den Küsten bildete sich eine Art „Arbeiterethos“. Die Gewerkschaften erkämpften diverse Lohnabschlüsse.

Durch die Wiedervereinigung vor drei Jahrzehnten kam es für ostdeutschen Arbeitnehmer:innen zu großen Umbrüchen in der Erwerbsbiografie. Im Klartext, sie wurden arbeitslos.

Die Einführung von Hartz-IV führte zu einem Anstieg der Beschäftigungsrate. Immer mehr Menschen fanden einen Job. Das sich Unternehmen aufteilten, um sich der Arbeitnehmervertretung (Betriebsrat) oder den Flächentarifverträgen zu entziehen, fiel erst später auf. Dann nämlich, als herausgefunden wurde, dass Tarife, Löhne und Gehälter eine negative Entwicklung nahmen. Immer Menschen hatten Arbeit,  Durchschnittsverdiener mussten jedoch Einbußen hinnehmen (Quelle)

In den frühen 2000er Jahren hielt dann die Digitalisierung Einzug. Da der Begriff „Arbeitsplatz“ für die „New Economy“ zu brav klang, wurden in dieser Branche der „StartUps“, „Unicorns“ und „Playern“ neue „Jobs“ geschaffen. Die Crowdworker der digitalen Arbeitswelt brauchte keinen festen Platz, nur eine Docking-Station und eventuell einen Kickertisch.

Die einst sicheren Arbeitsplätze bei Behörden, Banken und Versicherungen wurden durch die beginnenden Digitalisierung reduziert. Dienstleitungen wurden in (außer)europäische Callcenter ausgelagert.

Im Jahr 2000 platzte die New Economy Blase (Dotcom-Krise), acht Jahre später entsandt durch die Pleite der Lehmann Bank eine weitere Wirtschaftskrise.
Seit 2020 führt die Corona-Pandemie zu starken Verwerfungen.

Diese drei Krisen haben eines gemeinsam. Im Gegensatz zu dem weiter oben erwähnten „Wirtschaftswunder“ gibt es jetzt nichts Neues mehr zu erschaffen. Wir haben alles. Den Produktionsvorteil bei erneuerbaren Energien haben wir aus der Hand gegeben, die Digitalisierung im Dienstleitungsbereich verschlafen, und der Transformationsprozess bei der Automobilindustrie steht noch aus.
Aktuell ist ersichtlich, dass es Deutschland nicht gelungen ist, durch die Digitalisierung effizienter zu werden. Sei es im Bildungsbereich, oder bei den administrativen Arbeiten der öffentlichen Hand.

Jetzt wird über abstrakte Begriffe wie Plattformökonomie und informelle Arbeit berichtet. Manchmal habe ich den Eindruck, dass diese Begriffe erschaffen wurden, damit die Betroffenen nicht merken, dass über sie gesprochen wird.

Die Plattformökonomie hat unbestreitbar Vorteile für die Beschäftigten. Flexible Arbeitszeiten, die viel gepriesene Selbstbestimmung.
Was ist jedoch mit der Mitbestimmung? Während in der IT-Branche die Nachfrage nach Fachkräften zu meist
guter Bezahlung führt, sieht es beispielsweise bei den Lieferdiensten überwiegend anders aus (Quelle).Immer weniger Arbeitnehmer an Tarifverträge gebunden | BR24

Bleibt zu hoffen, dass die informelle Arbeit nicht wieder Einzug in unsere Arbeitswelt hält, denn das wäre ja wieder Tagelöhnerei (Quelle).

Journalist:innen haben in ihrem Umfeld mitbekommen, wie Jobs in der Kreativbranche, ausgelöst durch die Pandemie, wegbrachen.
Jetzt besteht ein größeres Interesse an „working poor“ und „Arm trotz Arbeit.
Der Deutschlandfunk widmet sich im Rahmen seiner „Denkfabrik“ ausführlich dem Thema „Zukunft der Arbeit“.

Und die Diskussion ist auch dringend erforderlich.

Die Arbeitswelt steht vor einem großen Transformationsprozess. Viele gute bezahlte Jobs werden wegfallen z.B in der Branche "Gewinnung von Erdöl und Erdgas" oder in der"Kokerei und Mineralölverarbeitung" (Quelle)

Warum ist es wichtig die Entwicklung bei den Tarifverträgen und Gehältern kritisch zu beobachten?

Weil sich unser Sozialstaat aus Beiträgen, Umlagen und Steuern finanziert.

Jede Einkommenseinbuße im Arbeitsleben führt eher zu Altersarmut.

Und eine
alte Gesellschaft bedarf medizinischer Versorgung. Diese muss bezahlt, sprich erwirtschaftet werden. Und sie muss für die Betroffenen bezahlbar sein.

Wir können von einem bedingungslosen Grundeinkommen träumen, oder uns dem Transformationsprozess stellen. Wir als Gesellschaft in der Summe von Verbraucher:innen, Arbeitnehmenden, Gewerkschaften, als auch Vertreter:innen aus Politik und Wirtschaft.

Wie können Arbeitnehmende ihre Jobs behalten? Wie können Arbeitssuchende Jobs finden? Durch welche Stellschrauben in der Politik kann der Mangel an Fachkräften reduziert werden? Was ist gerechte Bezahlung? Wie wird eine lebenswerte Rente erwirtschaftet?

Bei der Beantwortung dieser Fragen helfen uns verbale Nebelerzen nicht weiter.


Ein Jahr verschenkt?

Am 9. Oktober 2023 startete die Petition zur Einführung einer Europäischen Vermögenssteuer. Diese Forderung richtete sich an die Europäische...